PEOPLE, TEAMS UND STRESS

Team-Coaching in Konfliktregionen

In Krisenregionen unter hohem Stress zu arbeiten, kann sehr belastend werden. Nicolien geht in ihrem Beitrag darauf ein, wie sie Projektteams in solchen Situationen professionell begleitet und unterstützt.

Ausgangslage einschätzen

In den letzten zehn Jahren habe ich regelmässig Projektteams in Konfliktregionen begleitet, die unter sehr hohem Druck arbeiten. Mir ist aufgefallen, dass der körperlichen und geistigen Fitness dieser Mitarbeitenden nur geringfügig Beachtung geschenkt wird. Dabei ist die Vermittlung von Informationen und Methoden, sich gesund zu erhalten und stressregulierendes Verhalten einzuüben, von elementarer Bedeutung, damit sie sie der Situation entsprechend, flexibel und wirksam einsetzen können.

In einem angespannten und komplexen Umfeld mental und emotional fit zu bleiben ist nicht nur eine Frage der persönlichen Sicherheit, sondern auch die Voraussetzung dafür, effizient arbeiten zu können, Probleme zu lösen, umsichtig zu entscheiden und unvorhersehbare Herausforderungen zu bewältigen. Verlässliche soziale Beziehungen und ein geübter Umgang mit Stress spielen hierfür eine entscheidende Rolle.

Flexibilität im Management von Stress

Neuere Erkenntnisse bestätigen, dass das menschliche Nervensystem bei Bedrohung unmittelbar vom Zustand der Ruhe, Sicherheit und Offenheit in den Abwehrmodus mit Kampf oder Flucht schaltet, um überwältigenden Erfahrungen und traumatisierenden Ereignissen zu entkommen. Wenn die überlastende Situation weiter anhält, schaltet der Körper seine Empfindungen irgendwann ab und wird starr.

Als Trainerin oder Beraterin achte ich deshalb zu Beginn eines Teamcoachings als erstes auf die körperlichen, emotionalen und mentalen Ausprägungen von Stress, die mit einiger Schulung deutlich zu erkennen sind. Dann stelle ich einige Methoden vor, mit denen die Teammitglieder aus dem Zustand der Hypererregung und Erstarrung herausfinden. Danach sind sie dann in der Lage, ihren Stresszustand wieder selbständig zu regeln und sich gegenseitig zu helfen. Sobald sich das individuelle Nervensystem beruhigt, können Menschen aufeinander zugehen, sich verständigen und überlegt handeln.


Beispiel: Team-Coaching in Libyen

Das Coachen von Teams, die in regionalen Konflikten und unter anhaltendem Stress arbeiten, habe ich nicht während einer Coachingausbildung gelernt. Es reicht auch nicht, sich im Vorfeld über die Lage in einer Einsatzregion zu informieren. Coaching von Teams in einem bedrohlichen Arbeitsumfeld erfordert eine schnelle Analyse der Situation vor Ort, kreatives Denken und ein angemessenes Vorgehen.

Ich habe als Coach über längere Zeit lokale, zivilgesellschaftliche Organisationen in Libyen begleitet, die Opfer von Gewalt unterstützten. Als die Hauptstadt Tripolis über ein Jahr lang militärisch belagert wurde, veränderte sich die Leistungsfähigkeit und Arbeitsweise des gesamten Teams. Das hiess für mich, meine Form des Coachings zu ändern. Die Sozialarbeiterinnen und Psychologen führten Beratungen nur noch telefonisch von zu Hause aus durch. Die Grenzen zwischen ihrem Arbeits- und ihrem Privatleben verloren sich zunehmend, was immer häufiger zu Erschöpfungszuständen und Abwehr führte. Darauf musste ich mich als Teamtrainerin und Coach einstellen.

Ich produzierte kurze Videoclips auf Arabisch, die die Gruppenaufgaben oder individuelle Interventionen zum Thema Selbstregulierung, Verbindung und Zusammenarbeit enthielten. Sobald Internet und Strom verfügbar waren, arbeiteten die Teammitglieder mit den Informationen und ihren Aufgaben in einer ihnen angemessenen Zeit und Form.
Eine Gruppe traf sich regelmässig zu Besprechungen in einem Auto, eine andere hielt ihre Meetings im Morgengrauen ab, während die Milizen in der Nachbarschaft schliefen. Der Fokus lag dabei stets auf der Frage: Was läuft gut, was müssen wir tun, um noch effektiver zu werden? Diese Struktur half ihnen, in Verbindung zu bleiben und ihre Möglichkeiten, sich kollektiv zu schützen und sich sozial zu engagieren, weiterzuentwickeln und zu nutzen.

Coaching je nach Kontext, maßgeschneidert

Da sich jede Person, jedes Team und selbst die Kontexte voneinander unterscheiden, ist ein individueller Ansatz elementar für die Art meines Coachings und Consultings – sei es für  Organisationen, Teams oder Einzelpersonen. Zum Beispiel veränderte sich mein Vorgehen als Moderatorin zur Feinabstimmung von Arbeitsprozessen während der Covid-19 Pandemie deutlich. Es war offensichtlich, dass neben dem kognitiv-verbalen Teil meiner Moderation, eine Selbsthilfemethode zur Tiefenentspannung des Körpers (TRE) Sinn machen würde. Diese Kombination ermöglichte den Teammitgliedern, sich gehört zu fühlen und ihre Verbindung zum eigenen Körper und ihrem Team zu stärken. Dadurch funktionierte der kognitive Teil der Meetings auch wieder zügig und effektiv.

Beispiel: Evakuierung aus Afghanistan

Der Ansatz zur Tiefenentspannung passte nicht zur Begleitung eines deutschen Evakuierungsteams in Afghanistan, das ich 2021 supervidierte. In der Notfallphase musste jeder rund um die Uhr wachsam und verfügbar sein. Es gab keinen Raum für Gespräche oder für das Erlernen einer neuen Methode zur Stressreduktion. Der kollektive Fokus des Teams lag auf dem Überleben ihrer afghanischen Arbeitskollegen. Sobald der erste Druck nachließ, führte ich das Team dann alle zwei Tage durch die TRE-Sitzungen hindurch. Das funktionierte gut. Die Teammitglieder berichteten, dass sie wieder besser schliefen, hungriger wurden, ihr Körper sich besser entspannen konnte und sie auch soziale Kontakte wieder aufnahmen.

Sobald die Spannung oder der Konflikt nachlässt, ist es jedes Mal eine Freude, wie sich Menschen verändern und ihr Leben, ihre Tätigkeit wieder selbstbestimmt gestalten. Das ist die Belohnung als Teamtrainerin und Coach: Zeuge zu sein, wie Teams wachsen und sich weiterentwickeln.

Nicolien ist internationale Moderatorin, Stressmanagement-Trainerin und Coach aus den Niederlanden. Durch ihre Ausbildung als Arabistin wird sie häufig im Nahen Osten und in Nordafrika eingesetzt. Sie ist spezialisiert auf Organisations- und Teamentwicklung sowie auf Stressmanagement in Teams.

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